Studie: Umbau zur Kreislaufwirtschaft könnte Treibhausgasemissionen und Rohstoffverbrauch in Deutschland um ein Viertel senken

Der Umbau zu einer echten Kreislaufwirtschaft könnte in Deutschland stark zum Schutz von Klima, Ressourcen und der Biodiversität beitragen. Zu diesem Ergebnis kommt eine heute veröffentlichte Studie vom WWF Deutschland, dem Öko-Institut, dem Fraunhofer ISI sowie der FU Berlin. Durch eine entsprechende Transformation würde die deutsche Wirtschaft außerdem erheblich an Versorgungssicherheit gewinnen und ihre Abhängigkeit von kritischen Rohstoffen reduzieren.

Der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft sei mit substanziell positiven ökologischen Wirkungen in allen untersuchten Wirkungsfeldern verbunden, versprechen die Autoren. Entscheidende sozioökonomische Vorteile könnten erreicht werden, weil immense Folgekosten von Umweltzerstörung, Biodiversitätsverlust und Klimawandel eingedämmt werden. Nicht zuletzt biete die Transformation Deutschlands hin zu einer ganzheitlichen Kreislaufwirtschaft oder „Circular Economy“ auch Chancen für mehr Lebensqualität und Gesundheit.

Der gesamtgesellschaftliche Nutzen einer Circular Economy ist deutlich höher als die damit einhergehenden sozio-ökonomischen Kosten der Transformation, heißt es in der Studie. „Die zirkuläre Transformation könnte die Treibhausgasemissionen um bis zu 26 Prozent reduzieren und den Rohstoffkonsum um bis zu 27 Prozent bis zum Jahr 2045 senken”, erklärte Siddharth Prakash, Projektleiter und Leiter Zirkuläres Wirtschaften & Globale Wertschöpfungsketten beim Öko-Institut, heute anlässlich der Vorstellung der Ergebnisse. Den Ressourcenverbrauch zu reduzieren und vom Wirtschaftswachstum zu entkoppeln sei zentral, um die planetaren Grenzen in der Zukunft einhalten zu können.

„Unser Hunger nach Ressourcen scheint bisher unstillbar – und dies hat uns direkt in die zunehmende Dreifachkrise aus Erderhitzung, Artensterben und Umweltverschmutzung geführt“, sagte Rebecca Tauer, Programmleiterin Circular Economy beim WWF Deutschland. So habe hat Deutschland 2018 mit 16,4 Tonnen pro Kopf rund 13 Prozent mehr Rohstoffe verbraucht als der EU-Durchschnitt. Die Entnahme und Verarbeitung von Rohstoffen sei zudem in Deutschland für 40 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. „Die Circular Economy bringt uns aus dieser Sackgasse wieder heraus, indem sie unser lineares Wirtschaften aus ‚Take-Make-Waste‘ ablöst. Bisher fehlt jedoch ein konkretes und holistisches Zielbild für den Umbau der deutschen Wirtschaft zu einer echten Circular Economy“, so Tauer.

Rohstoffverbrauch halbieren, Sekundärrohstoffeinsatz verdoppeln

Die Verfasser der Studie empfehlen daher, den Rohstoffkonsum in Deutschland bis 2045 auf nur noch sieben Tonnen pro Kopf zu reduzieren – davon zwei Tonnen biotisch und fünf Tonnen abiotisch. Der absolute Rohstoffverbrauch sollte auf 500 Mio Tonnen im Jahr gesenkt werden. Hinsichtlich des Einsatzes von Sekundärrohstoffen wird in der Studie eine Verdopplung der zirkulären Materialnutzungsrate – also des Anteils von Rezyklaten am Gesamtverbrauch – von gegenwärtig etwas mehr als zwölf Prozent auf 25 Prozent bis 2030 gefordert, zumindest sollte eine Steigerung auf 18 Prozent angestrebt werden.

Erreicht werden sollen diese Ziele anhand von insgesamt zehn Leitprinzipien. Neben der Senkung des Ressourcenverbrauchs sowie der Definition von verbindlichen Ressourcenzielen nach dem Vorbild von Klimazielen gehören dazu auch konkrete politische Initiativen zur Gestaltung des benötigten Strukturwandels. Staatliche Stellen sollten zudem ihre Vorbildfunktion in der Beschaffung ausbauen. In weiteren Prinzipien wird die Bedeutung von Bildung und Wissensvermittlung sowie von Forschung und Entwicklung hervorgehoben. Außerdem sollten ausreichend Investitionsmöglichkeiten für die Transformation geschaffen und für Unternehmen Anreize gesetzt werden, um den angestrebten Wertewandel zu erreichen. In gesellschaftlichen Allianzen müsse die Überzeugung für eine umfassende Circular Economy geschaffen werden, fordern die Autoren weiter. Gleichzeitig sollte die Bundesrepublik auch ihre internationale Verantwortung stärker wahrnehmen.

Ambitionierte und konkrete Kreislaufwirtschaftsstrategie gefordert

„Deutschland muss mit der Circular Economy dringend aufholen und damit das schlummernde Potenzial für Klima- und Biodiversitätsschutz nutzen. Dafür sollte die Bundesregierung eine ambitionierte und konkrete nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie bis nächstes Jahr verabschieden“, fordert Tauer.

„Damit die Vision, Leitprinzipien und Ziele einer Circular Economy umgesetzt werden können, braucht es Verbindlichkeit. Dafür ist eine Governance-Struktur für ein Ressourcenschutzgesetz, analog zum Klimaschutzgesetz, zentral“, betont Klaus Jacob, Leiter der Forschungsgruppe Policy Assessment an der FU Berlin. Die Instrumente zur Förderung von zirkulären Maßnahmen seien zwar in der Regel bekannt, müssten jedoch weiterentwickelt und viel ambitionierter gestaltet werden, damit die erwünschte ökologische Lenkungswirkung eintritt. Beispielsweise sollte die Steuer- und Finanzpolitik bessere Anreize für zirkuläres Wirtschaften liefern, die öffentliche Beschaffung verbindlich Umweltaspekte einplanen und Hersteller sowie Inverkehrbringer eine größere Verantwortung für ihre Produkte übernehmen, so die Analyse.

Bedarf an Neodym, Kobalt und Kupfer könnte zur Hälfte durch zirkuläre Maßnahmen gedeckt werden

Außerdem wird in der Studie die Bedeutung der Kreislaufwirtschaft für die angestrebte Energie- und Mobilitätswende hervorgehoben. Die dafür benötigten Rohstoffe verursachten oft hohe Umweltschäden und gälten in Bezug auf Versorgungsrisiko und wirtschaftliche Bedeutung als kritisch. Die Studie zeige, dass der Rohstoffbedarf in Deutschland durch verringerten Verbrauch und vermehrtes Recycling bei vielen Rohstoffen entspannt werden könne, so Antonia Loibl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI. „Bei beispielsweise Neodym, Kobalt und Kupfer könnte der angenommene Bedarf für das Jahr 2045 durch das ‚Modell Deutschland‘ zu mehr als 50 Prozent durch die entsprechenden zirkulären Maßnahmen gedeckt werden. Das Risiko für Versorgungsengpässe sinkt durch die Maßnahmen der Circular Economy.“

In der Studie „Modell Deutschland Circular Economy“ wurden die Wirkungen einer Kreislaufwirtschaft für insgesamt acht Sektoren näher untersucht: Hoch- und Tiefbau, Fahrzeuge und Batterien, Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) sowie Haushaltsgeräte, Lebensmittel und Ernährung, Textilien, Verpackungen, Möbel und Beleuchtung. Allein mit nur fünf Maßnahmenbündeln ließen sich über alle untersuchten Sektoren mehr als 80 Prozent der insgesamt errechneten Treibhausgasreduktion erzielen, heißt es. „Geringere Wohn- und Bürofläche, weniger Individualverkehr, eine stärker pflanzenbasierte Ernährung, ressourceneffizientere Rechenzentren und ein geringerer Konsum von Textilien sind Ansätze, die eine große Wirkung erzielen“, betont Prakash. „Diese Maßnahmen führen außerdem zu 30 Prozent weniger Landnutzung in den betrachteten Sektoren und tragen so zum Schutz der Biodiversität bei.“

Das „Modell Deutschland Circular Economy“ wurde finanziell unterstützt durch die Supermarktkette Edeka, den Handelskonzern Otto und den Mobilfunkanbieter Vodafone. Die Bertelsmann-Stiftung hat das Vorhaben zudem als „Knowledge Partner“ unterstützt.

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