Mehrwegangebotspflicht bisher „Rohrkrepierer“

Auch knapp ein Jahr nach dem Inkrafttreten der Mehrwegangebotspflicht für Speisen zum Mitnehmen beklagen Umwelt- und Verbraucherschützer eine mangelnde Umsetzung und fehlende Kontrollen. Von einem „Rohrkrepierer“ spricht beispielsweise Thomas Fischer, Leiter Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe (DUH), und mahnt Nachbesserungen an. „Was schlecht angefangen hatte zum Jahresbeginn, hat sich leider wie ein roter Faden bis zum Ende dieses Jahres durchgezogen“, sagte Fischer der Deutschen Presse-Agentur. Bei mehreren Durchgängen von Testbesuchen hätten Gastronomieunternehmen von Mehrwegquoten im niedrigen einstelligen Prozent-Bereich berichtet. Gemessen an den ursprünglichen Zielen seien das „desolate Ergebnisse“.

Restaurants, Bistros und Cafés, die Essen für unterwegs verkaufen, müssen seit Jahresbeginn neben Einweg- auch Mehrwegverpackungen dafür anbieten – sofern sie Einwegverpackungen aus Kunststoff nutzen. Bei Getränken aller Art muss es eine Mehrwegalternative geben. Ausnahmen gelten für kleinere Geschäfte, die nicht größer als 80 Quadratmeter sind und höchstens fünf Beschäftigte haben. Dort müssen Kunden aber die Möglichkeit bekommen, eigene Behälter befüllen zu lassen. Bei Verstößen drohen Bußgelder von bis zu 10.000 €.

Nach den Worten Fischers krankt das Gesetz vor allem an mangelnden Kontrollen und einer fehlenden Sanktionierung von Verstößen. „Ohne Druck, ohne Zwang wird sich nichts daran ändern, dass viele Gastronomen die Mehrwegangebotspflicht nicht ernst nehmen.“ Hinzu komme die nach wie vor schlechte Information der Verbraucher, die Hinweise auf Mehrwegbehälter häufig gar nicht wahrnähmen. Die Anbieter versuchten offenbar, „sich Mehrweg gezielt vom Hals zu halten, indem die Information schlecht gemacht wird, leicht zu übersehen ist“.

Der eigentlich einfachste Hebel für bessere Kundeninformationen – nämlich mündliche Hinweise des Verkaufspersonals – habe man im gesamten Jahr bei fast 100 Testbesuchen nicht in einem einzigen Fall feststellen können, sagte Fischer. „Diese aktive Kundeninformation, die gibt es nicht.“ Der Gesetzgeber müsse die Informationspflichten daher viel enger fassen.

Problematisch seien auch die vielen unterschiedlichen Mehrwegbehälter. „Viele Händler arbeiten nicht zusammen, sondern im Grunde genommen nebeneinander mit eigenen Systemen“, was nicht verbraucherfreundlich sei. Es gelte, wegzukommen von diesem Wirrwarr – und hin zu einer einheitlichen Branchenlösung mit einem flächendeckenden Netz von Rückgabemöglichkeiten, sagte Fischer.

Für wichtig hält er zudem finanzielle Anreize wie im Fall von Tübingen. Die dort geltende Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen, -geschirr und -besteck war im Mai vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig für zulässig befunden worden. Eine Franchisenehmerin der Fastfood-Kette McDonald's hatte dagegen Verfassungsbeschwerde erhoben, eine Entscheidung steht noch aus.

Die Umwelthilfe kritisiert auch Weihnachtsmärkte für das schwache Angebot von Mehrweglösungen für Speisen. Auf 31 Weihnachtsmärkten in 26 Städten hat die DUH das Angebot bei insgesamt mehr als 130 Gastronomieständen getestet. In etwa 80 Prozent der Fälle wurden für die Ausgabe von Speisen vorrangig Einwegpappteller, Einwegtüten und Einwegbesteck verwendet. Dies sei unverständlich und unnötig, da Heißgetränke wie Punsch, Glühwein oder Tee überwiegend in umweltfreundlichen Mehrwegtassen ausgeschenkt würden. Die Mehrweglogistik existiere also bereits und werde von den Kunden auch angenommen.

Das Potenzial für Einsparungen ist dabei aus Sicht der DUH groß. Würden die mehr als 3.000 Weihnachtsmärkte in Deutschland vollständig auf abfallarme Mehrwegverpackungen setzen, könnten jedes Jahr insgesamt rund 3.500 Tonnen Abfall und 6.600 Tonnen CO2 vermieden werden, rechnet die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation vor. Im Test hätten etwa Weihnachtsmärkte in Nürnberg und Chemnitz gezeigt, dass ein vollständiger Umstieg auf Mehrweg funktioniere. „Wenn einer der größten Weihnachtsmärkte, der Christkindlmarkt in Nürnberg, Mehrweg kann, dann sollten das doch alle können“, so DUH-Bundesgeschäftsführerin Barbara Metz.

Deshalb fordert die Umwelthilfe Städte und Gemeinden auf, auf öffentlichem Grund Mehrweggebote zu erlassen, die Veranstalter dazu verpflichten, ausschließlich wiederverwendbares Geschirr zu nutzen – und diese Pflicht auch zu kontrollieren. Damit Mehrwegkonzepte bestmöglich umgesetzt werden, sollten Veranstalter auf ein einheitliches Mehrwegsystem setzen. Dadurch könne das Geschirr bei allen Gastronomieständen gleichermaßen zurückgegeben werden.

Verbraucherschützer kritisieren Schlupflöcher für andere Verpackungsarten

Die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen sieht derweil schwere Mängel bei dem Gesetz – allen voran den, dass es nur auf Einwegverpackungen für Speisen aus Kunststoff abstelle, obwohl andere Verpackungsarten ökologisch genauso schlecht oder sogar noch schlimmer seien, wie Philip Heldt, Referent für Ressourcenschutz bei der Verbraucherzentrale NRW, sagte. Das führe zu einem Ausweichen auf Pappverpackungen. „Also das ist schon mal ein riesengroßes Schlupfloch, was der Gesetzgeber da den Gastro-Betrieben geschenkt hat“, sagte Heldt.

Die Verbraucherschützer hatten rund 400 Betriebe unter die Lupe genommen. Etwa die Hälfte davon hätte von der Größe und den Gegebenheiten Mehrwegangebote für Speisen zum Mitnehmen führen müssen, doch wiederum davon nur etwa die Hälfte habe dies tatsächlich getan. „Das ist natürlich schon krass. Also wenn man überlegt, bei anderen Gesetzen würden sich 50 Prozent der Betroffenen nicht an das Gesetz halten“, sagte Heldt und pochte auf Nachbesserungen am Gesetz.

Dass kaum Kontrollen stattfänden, liege nicht nur an der personellen Unterbesetzung der Überwachungsbehörden, sondern auch an den komplexen Regelungen des Gesetzes, das auch Fragen aufwerfe. Es fehlten „klare Vollzugsanweisungen, wie dann genau zu verfahren ist“, das schränke die Behörden in ihrer Handlungsfähigkeit ein.

Dehoga beklagt unklare Bestimmungen

Auch der Gastronomieverband Dehoga hält die Bestimmungen für unklar. Erst im Mai 2023 – Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes – sei ein behördlicher Leitfaden veröffentlicht worden. „Aber auch dieser hat leider nicht alle Fragen beantwortet, die sich in der Praxis bei der Umsetzung stellen, so dass nach wie vor Rechtsunsicherheiten bestehen“, erklärte Uta Stenzel, Referentin für Lebensmittel- und Verbraucherschutzrecht beim Branchenverband Dehoga.

Generell bedeute das Gesetz einen erheblichen Aufwand und Kosten – „und das alles in Zeiten weiterer großer Herausforderungen, die die Betriebe aktuell zu bewältigen haben“. Die Nachfrage nach Mehrweg halte sich in den meisten klassischen Restaurants und Cafés nach wie vor in Grenzen. Um die Mehrwegquote und Akzeptanz zu steigern, müssten die Strukturen und Abläufe verbessert werden – von leicht handhabbaren Behältern bis zur Rücknahme. Erstrebenswert sei ein System ähnlich dem für Pfandflaschen. Als Beispiel verwies Stenzel auf die Initiative „Reusable To-Go“, die in Pilotmärkten in Hessen und Rheinland-Pfalz die unkomplizierte Rückgabe von Mehrwegsystemen für Essen testet. (dpa/eigener Bericht)

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