SRU-Gutachten zu Suffizienz: Kreislaufwirtschaft muss über Recycling hinausgehen

Sachverständige fordern stärkeren Fokus auf Vermeidung und Wiederverwendung

Angesichts der voranschreitenden ökologischen Krisen drängt der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) auf eine gesellschaftliche Debatte über Suffizienz. In einem heute veröffentlichten Diskussionspapier legen die Experten dar, welche Rolle die Kreislaufwirtschaft bei der Umsetzung einer solchen „Strategie des Genug“ spielen kann und warum der Fokus dabei stärker auf die Abfallvermeidung und Wiederverwendung von Produkten und Materialien gelegt werden muss. Suffizienz bezeichnet den Anspruch, im Einklang mit unseren Werten gerechter und innerhalb ökologischer Grenzen zu leben“, sagt Wolfgang Lucht, der als Professor für Nachhaltigkeitswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin dem SRU angehört. „Es ist unbestreitbar, dass wir ökologisch über unsere Verhältnisse leben.“

Für Christina Dornack kann Kreislaufwirtschaft zur Suffizienz beitragen, da sie viel mehr als nur Recycling umfasse. „Sie zielt darauf ab, Produkte langlebig, reparierbar und kreislauffähig zu gestalten und dadurch den Rohstoffverbrauch zu senken sowie Abfälle zu vermeiden“, erklärt die Professorin für Abfall- und Kreislaufwirtschaft an der TU Dresden. Gleichzeitig setze zirkuläres Wirtschaften aber auch Suffizienz voraus. „Es ist weder technisch möglich noch ökonomisch sinnvoll, stetig steigende Stoffströme im Kreislauf zu führen – zumal immer auch energetische, qualitative und teils auch stoffliche Verluste entstehen“, betont Dornack, die dem Sachverständigenrat ebenfalls angehört.

Aus Sicht des SRU ist eine ambitionierte Kreislaufwirtschaft die Voraussetzung für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit und bietet zahlreiche bisher ungenutzte Chancen. Eine Ursache dafür sehen die Experten darin, dass die Kreislaufwirtschaft häufig falsch und verkürzt nur als Recycling verstanden werde. Die Potenziale des Recyclings würden jedoch durch eine Reihe von Faktoren begrenzt. Konkret nennen die Experten hier das Design von Produkten, die technischen und ökonomischen Grenzen der Erfassung und Aufbereitung von Abfällen und deren unsachgemäße Entsorgung sowie die teilweise mangelnde Nachfrage nach Sekundärmaterialien und deren Markteintrittshürden.

Verluste beim Recycling unvermeidlich, Sekundärrohstoffe daher nicht in ausreichender Menge vorhanden

Beim Recycling entstünden stets energetische und gegebenenfalls auch stoffliche und qualitative Verluste, betont der SRU. Ein vollständig geschlossener und sich selbst tragender Kreislauf sei allein aufgrund der Gesetze der Thermodynamik nicht möglich. Dies gelte auch, wenn Produkte nach dem Konzept Cradle-to-Cradle entwickelt wurden.

Außerdem könnten ganze Stoffströme durch Sortierfehler, Verunreinigungen mit anderen Materialien oder Schadstoffen an Qualität verlieren und so den Einsatz der daraus gewonnen Rezyklate erschweren. Sei ein Stoffstrom reich an diesen Störfaktoren oder seien die Produkte selbst schwer recycelbar, könne die Ökobilanz des Recyclings sogar schlechter ausfallen als bei der energetischen Verwertung, heißt es in dem Papier.

Viele Rohstoffe seien außerdem in langlebigen Produkten und insbesondere in Infrastruktureinrichtungen und Gebäuden langfristig gebunden und deshalb vorerst nicht als Sekundärrohstoffe verfügbar. Auch die steigende Vielfalt und Komplexität von Produkten erschwerten die separate Erfassung, so der SRU. In Summe seien Sekundärrohstoffe daher selbst bei einer stagnierenden Nachfrage nach Produkten nicht in ausreichender Menge vorhanden. Recycling könne somit zwar einen wichtigen, aber keinen ausreichenden Beitrag zur Ressourcenschonung leisten, so das Urteil der Experten.

Um die vollen Potenziale und nachhaltigen Wirkungen einer echten Kreislaufwirtschaft zu erreichen, sollten verschiedene Effizienz-, Konsistenz- und Suffizienzstrategien angewendet werden, fordern die Sachverständigen. Dazu sei es notwendig, die Kreislaufwirtschaft mit Fokus auf die Vermeidung umzusetzen. Vermeidung bedeute dabei aber nicht nur, dass weniger Abfälle entstehen, sondern auch, dass die Nachfrage nach Rohstoffen und Produkten zurückgehe. Letzteres sei entscheidend, um Stoffströme zu verringern und Materialflüsse zu verlangsamen. Aber auch die Gestaltung langlebiger und kreislauffähiger Produkte stellt aus Sicht des SRU ein essenzielles Element der nachhaltigen Kreislaufwirtschaft dar. Somit könnten auch Energieaufwendungen und Materialverluste des Recyclings reduziert werden.

Pfadabhängigkeiten im Kreislaufwirtschaftsgesetz verhindern Paradigmenwechsel

Bei den rechtlichen Rahmenbedingungen sehen die Experten noch große Potenziale zur Stärkung von Suffizienz durch Kreislaufwirtschaft. Das Kreislaufwirtschaftsgesetz habe sich graduell aus der Abfallgesetzgebung entwickelt. Die dadurch entstandenen Pfadabhängigkeiten würden einen Paradigmenwechsel hin zu Vorsorge und Herstellerverantwortung erschweren.

Um zentrale Prinzipien der Kreislaufwirtschaft konsequenter zu verwirklichen, erneuert der SRU in dem aktuellen Diskussionspapier seine bereits 2020 erhobene Forderung nach zwei neuen Stufen in der Abfallhierarchie. Diese adressieren die Verringerung der Stoffströme sowie die zirkuläre Produktgestaltung und sollen die Ziele der Stufe Abfallvermeidung explizit benennen. „Je weiter vorn im Kreislauf begonnen wird, desto erfolgreicher werden die Maßnahmen zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft führen und desto größer sind die ökologischen sowie die ökonomischen Potenziale“, sind die Experten überzeugt.

SRU lobt Recht auf Reparatur und empfiehlt Reparaturbonus und Mehrwertsteuersenkung auf Reparaturen

Trotz bestehender politischer Ansätze sehen die Sachverständigen die Gefahr, dass das derzeitige Niveau der Ressourcennutzung und die damit verbundenen ökologischen und sozialen Auswirkungen fortgeschrieben werden. Diese Gefahr bestehe, wenn die Kreislaufwirtschaft in ihrem derzeitigen Verständnis lediglich als schrittweise Verbesserung von Produkten, Dienstleistungen und Prozessen der Abfallwirtschaft weitergeführt werde. Stattdessen sollte man aus Sicht des SRU klären, wie Anreize für Unternehmen geschaffen werden können, damit diese ihre Geschäftsmodelle suffizienter gestalten. Ein Anreiz könnte etwa ein Recht auf Reparatur sein. Offen bleibe hier jedoch, ob dies auch zu einer Veränderung der angebotenen Produkte hin zu mehr Qualität statt Quantität führt. Auch die gesellschaftlichen Praktiken sollten sich wieder in Richtung einer längeren und gegebenenfalls gemeinsamen Nutzung von Produkten oder der Inanspruchnahme von Reparaturdienstleistungen entwickeln. Hier wären beispielsweise Anreize durch die Einführung eines Reparaturbonus und die Senkung der Mehrwertsteuer auf Reparaturdienstleistungen oder längere Garantiezeiten denkbar.

Um das Ambitionsniveau der Abfallvermeidungspolitik zu stärken und in der Praxis zu realisieren, sprechen sich die Ratsmitglieder außerdem dafür aus, die Produktpolitik als integralen Bestandteil der Kreislaufwirtschaft zu sehen. „Die Kreislaufwirtschaft muss strategisch und für den industriellen Entscheidungsablauf verlässlich auf Ökodesign, zirkuläre Wirtschaftsmodelle und eine Weiterentwicklung von Konsummustern zielen“, heißt es in dem Papier. Einen wichtigen Schritt in diese Richtung sehen die Sachverständigen in der geplanten Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte der EU. Das Kreislaufwirtschaftsrecht benötige verbindliche Ressourcenziele und sollte zukünftig eng mit dem Produktrecht verzahnt werden, fordern sie. Dabei seien alle Ressorts gefordert. „Denn eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ist eine Querschnittsaufgabe der Politik, der Wirtschaft und der Gesellschaft.“

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